Jeder ist hier wichtig. Egal wie er/sie heißt, egal wo er/sie herkommt, wie er/sie aussieht, ob berufstätig, schulpflichtig, erziehend, studierend, herumgammelnd (auch solche Phasen braucht das Leben), zeichnend, schreibend, musizierend... Jeder wird gebraucht!
Um ganz ehrlich zu sein, ich habe derzeit auch so ein Tief. Einen Job, der mir keinen Spaß macht, der Winter steht vor der Tür, kein Geld im Topf, das Haus fällt scheinbar langsam auseinander, das Auto ist dauernd kaputt, mein Konto mittlerweile überzogen, das Heizöl alle, kein größerer Geldeingang in Sicht... Aber hey! Es ist noch immer irgendwie weitergegangen.
Manchmal muß man sich nur klarmachen, wie gut es einem geht. Mir hilft da seit Jahren ein Comic. Lacht nur. Es wurde geschaffen von dem wunderbaren zeichner Ralf König. Ja, genau, DER Ralf König mit den schwulen Knollennasen. Ich habe den betreffenden Ausschnitt mal eingescannt. Urheberrechtlich ist das whrscheinlich bedebklich, aber es ist nur ein wirklich kleiner Ausschnitt aus einem großen Werk. Ralf möge mir verzeihen.
Kontext: Der lebenslustige Paul hat vor kurzem erfahren, daß er HIV-Positiv ist. Er liegt neben seinem langjährigen Partner im Bett und wird von einem Albtraum, wach.
Das ganze ist natürlich sehr überzeichnet und cartoonesk übersteigert, aber ich finde die Stelle trotzdem wunderbar, um einem deprimnierten Mitteleuropäer die Füße wieder an den Boden zu nageln:
Hier ist der Ausriß.
Wie gesagt, es ist satirisch überzeichnet- aber im kern sehr wahr.
Ich habe ein festes Dach über dem Kopf. Mir stehen mehrere Zimmer zur Verfügung, eines, in dem ich nur schlafe, eines, in dem ich nur arbeite. Dazu ein schönes Badezimmer sowie eine Zweittoilette, die in ärmeren der Regionen der Welt schon als feudales Badezimmer durchgehen würde. Im nächsten Zimmer lese ich, im nächsten Zimmer sehe ich fern oder sitze mit Gästen. Ein weiteres Zimmer dient der Zubereitung von Lebensmitteln und deren Verzehr. Dazwischen Flure. Ich muß nicht mit 15 Mitbewohnern in einem dieser Zimmer leben: Alle stehen mir allein zur Verfügung, und wenn ich will, kann ich eine Tür hinter mir zumachen. Alle Zimmer sind den ganzen Winter lang beheizt und mollig warm. Ich bin nicht nur vor der Witterung geschützt und kann so eben überleben, sondern ich habe es gemütlich und behaglich.
Ich habe soviele warme Mahlzeiten am Tag, wie ich möchte. Dabei muß ich nicht nur irgendwas fressen, um am Leben zu bleiben, sondern ich kann mir auch noch Leckereien raussuchen, die mir schmecken. Die Versorgung ist so gut, daß ich eher aufpassen muß, daß ich nicht zuviel esse, als daß ich mir Sorgen machen müßte, wo die nächste Mahlzeit her kommt. Stattdessen stehen mir das ganze Jahr über frisches Obst und Gemüse zur Verfügung (etwas, was unsere Eltern teilweise noch nicht kannten (frag als Mittvierziger mal Deinen Vater, wann er im Winter frischen Salat zu essen bekommen hat)), und wenn ich will, habe ich jeden Tag Fleisch auf dem Teller.
Mir steht den ganzen Tag über soviel frisches, sauberes und hygienisch einwandfreies Wasser zur Verfügung, wie ich möchte. Es kommt aus blitzenden, sauberen Wasserhähnen in jeder Temperatur, die ich möchte. Eiskalt und erfrischend oder fast kochend heiß. Ich brauche nicht zu einem 5 Km entfernt liegenden Brunnen zu latschen, um dort stundenlang für einen Krug fauliges, brackiges Wasser anzustehen. Mal zur Erinnerung: Die allermeisten Menschen auf der Welt müssen mit Wasser auskommen, mit dem wir nicht einmal unsere Toiletten spülen würden (es könnten ja Ränder im weißen Porzellan entstehen).
Das Haus ist mit allem versorgt, was das Leben komfortabel und angenehm macht. Ich habe in jedem Zimmer Strom, ich kann, wenn ich möchte, mitten im Winter um Mitternacht Zeitung lesen. Meine Wäsche stopfe ich in eine Maschine, und nach zwei Stunden kommt sie sauber, duftend und fast trocken wieder heraus. Ich muß nicht zum nächsten Bach laufen und die Wäsche dort über irgendwelchen Steinen sauber schlagen. Ihr lacht? Ganze
Kontinente machen das noch so!
Draußen vor der Tür stehen zwei Autos, eins für meine liebe Frau und eins für mich. Ich kann damit fahren wann ich will, wohin ich will und so lange ich will. Ich kann sofort rausgehen und 3.000 Km weit fahren, immer geradeaus. Es gibt keinen, der mich davon abhalten würde. Ich muß keinen bewaffneten Posten passieren, ich brauche keinen korrupten Grenzbeamten zu bestechen, ich kann einfach losfahren. Dabei kann ich mich auch noch sicher fühlen, denn ich muß nicht befürchten, daß mir an der nächsten roten Ampel eine Knarre an den Kopf gehalten und das Auto geklaut wird. Habe ich keine Lust mit dem Auto zu fahren, dann stehen auch noch ein Motorrad zur Verfügung, mit dem ich ebenfalls sofort starten könnte, wenn ich wollte. Für mein armes, altes Hollandrad, welches im Schuppen vor sich hinrostet, würde anderswo noch ein Monatslohn ausgegeben.
Mir wird der Dreck weggeräumt. Ich muß nicht in eine Ecke im Wald kacken. Es gibt eine funktionierende Kanalisation, die mich schnell, sauber und unauffällig von Abwässern befreit. Kein stinkender Kanal mitten auf der Straße, nein. Diskret und unterirdisch. Meinen Müll werfe ich in einen Behälter, der regelmäßig abgeholt wird. Es gibt fast keine wilden Müllkippen oder Abfallberge, die mich belästigen würden. Dienstbare Geister von Stadt und Kommune versorgen mich mit allem, was ich möchte.
Wache ich nachts auf und habe Zahnschmerzen? Oder stehe ich morgens mit Bauchschmerzen auf? Kein Problem, mir steht eines der besten und effektivsten Gesundheitssysteme der Welt zur Verfügung. Der nächste Arzt ist niemals mehr als eine halbe Stunde entfernt. Okay, an Wochenenden oder nachts vielleicht mal eine Stunde. Die Ärzte und das Pflegepersonal sind hochqualifizierte Fachkräfte, niemand wird mir obskure Blätter zu kauen geben oder die Geister meiner Ahnen beschwören, damit diese den Schmerz von mir nehmen.
Ich habe Freunde, die teilweise weit weg wohnen. Kein Problem, es gibt ein tadelloses Kommunikationsnetz. Ich kann telefonieren, oder dank PC, DSL und Webcam sogar meinem Gesprächspartner in die Augen sehen, während wir uns über hunderte von Kilometern hinweg unterhalten.
Ich muß nicht 16 Stunden am Tag in -wasweißich- einem brüchigen Bergwerk schuften, bis mir die Haut von den Knochen fällt, um meine Familie zu versorgen. Immer Angst davor, wann der nächste Stollen zusammenbricht. Ich werde auch nicht ausgebeutet von einem unsozialen Arbeitgeber, der mich hungern läßt, obwohl ich arbeite bis zur totalen Erschöpfung. Kinder brauchen überhaupt nicht zu arbeiten. Das ist keineswegs selbstverständlich, nur acht Flugstunden entfernt von hier sieht das schon ganz anders aus.
Abends gibt es Theater, Opern, Kinos, Kneipen, Restaurants mit Küche aus aller Herren Länder.
Ich kann glauben, was ich will. Ich muß nicht an Gott XY glauben, weil jemand, der sich für erleuchtet hält, mir das so vorschreibt. Ich muß mich nicht fünfmal am Tag nach Mekka verneigen, weil mich sonst ein Nachbar denunzieren könnte und mir ein Finger abgehackt würde von Leuten, die sich für die Wächter des Seelenheils halten. Ich kann laut über Gott lachen und Witze über Jesus reißen, ohne daß ich deswegen ausgepeitscht oder verbrannt würde.
Ich darf mich über die Regierung lustig machen. Ich könnte sogar der Regierungschefin ins Gesicht sagen, daß ich sie für eine unfähige, machtbesessene blöde Ziege halte- und mir würde nichts passieren. Ich kann Plakate aufhängen "Merkel ist doof!" - und keine Geheimpolizei würde mich Nachts aus dem Bett holen und abführen, damit ich in irgendeiner Folterzelle langsam verfaule.
Gibts nicht sagst Du?
Ich sage, meine Oma kann sich noch an Zeiten erinnern, da war das ganz anders. Hier, in Westdeutschland. Oder frag mal die Leute aus den fünf neuen Ländern, die die DDR noch bewußt erlebt haben. Die (wie ich) knapp 20 waren, als die Mauer fiel. Was meinst Du, wäre denen passiert, wenn sie vor nur 30 jahren ein Plakat in Potsdam aufgehängt hätten, auf dem "Honni ist ein Verbrecher!" zu lesen gewesen wäre? Die Plakatierer hättest Du nie wieder gesehen.
Ich kann gar nicht sagen, wie froh und dankbar ich bin, in dieses System hineingeboren worden zu sein. Habt Ihr Euch schon mal überlegt, wie die Alternativen lauten?
Natürlich ist hier nicht alles Gold, was glänzt. Natürlich gibt es auch hier Mißstände, Korruption und Menschen, die durch die Maschen des sozialen Netzes fallen. Natürlich- denn auch dieses System ist das Werk von Menschen. Von fehlbaren Menschen. Kein Menschenwerk kann oder wird jemals perfekt sein. Ich behaupte nach wie vor, daß wir in einem der besten Systeme leben, die es jemals gegeben hat- und das wir -trotz aller Onlinedurchsuchungen und Videoüberwachungen- die freiesten Menschen sind, die jemals über dieses kleine Stückchen Erde in Mitteleuropa gewandelt sind.
Und wenn ich mir das wieder klar mache, dann lebe ich wieder viel zufriedener mein kleines, unbedeutendes Leben vor mich hin. Und wenn es nur für die drei oder vier Menschen ist, für die ich alles bin.
Nachdenkliche Grüße
Fraro